Bild 23

hier nochmals ein Ausschnitt von Bildstein Ardre VIII (s. auch Bilder 17 und 18) zum Vergleich mit dem Drachenrelief am Aarstein (Bild 24). 

 

 

Bild 24

Drachenre-lief

Die Bild-komposition ist gestört durch den rechteckigen Luftschacht, der zum "Petrus-gang" führt.

Dieses von Drachenar-men vielfach umschlungenes Men-schenpaar als "Adam & Eva"-Relief zu identifi-zieren, erscheint als ebenso sonderbar, wie in dem Wächter vor der Grotte Petrus zu erkennen. Da offen-sichtlich ein Drachentier das Bild dominiert, möge es Drachenrelief heißen. 

Der Drachen mit nacktem Vogelkörper hat das Paar aus Frau und Mann fest umschlungen. Aus dem Vogel-/Drachen-Körper (Krallen, zweibeinig) wachsen sich vielfach windende, sich verzweigende, schlangenähnliche Arme. Das rechte Bein mit der gut nachzuzeichnenden Kralle (s. auch Bild 1) ist eingeklemmt zwischen den Unterbeinen des Mannes. Der kräftige Schwanz umschlingt die Frau, der sich nach rechts wendende Ringelbalg der Schlange fesselt den Mann. Nach links endet der Schlangenleib in einem dreizackigen Schwanz (s. auch Bild 25), nach rechts endet er nach zahlreichen Windungen im wölfischen Kopf mit aufmerksam aufgestellten Ohren. Der in Schlingen geformte Hals trägt zwei Hörner mit Widerhaken. Der Kopf zeigt aufgerissene kreisrunde Augen. Das Maul ist geöffnet, die Zunge herausgestreckt. Aus dem sabbernden Maul tropft der Speichel, das Untier scheint zu verenden. Unter der Lefze hängen lange Barthaare herab. 

Das Paar ist in kniender Haltung und in Hingabe zueinander gewendet abgebil-det. Noch immer ist der Ausdruck der sich zugewandten Gesichter und ihr Gebaren mit den erkennbar zum Schwur erhobenen Händen als Ganzes von Leidenschaft geprägt. 

Das Haupt der Frau ist umhüllt von einem kunstvoll gefältelten Kopftuch. Sie trägt im gekrümmten Arm etwas Unbestimmbares. Ihr Unterleib und ihre unteren Gliedmaßen sind stark verwittert bzw. beschädigt und nicht mehr gültig darzustellen, ihre Tracht daher nicht rekonstruierbar. 

Der Mann zeigt wie die Frau das Gesicht flehend gen Himmel gewandt. Die Augenpartie erscheint wulstförmig, das Kinn ist ausgeprägt, der Bart lang und schmal. Der Körper des Mannes ist verdeckt durch den Drachenkörper und dessen Extremitäten. Seine Beine sind unbekleidet. Der notwendig ehemals vollplastisch gebildete linke Arm ist an der Schulter abgebrochen. Der Unterarm mit der Hand ist unter den Leib des Drachens gesenkt. Man spürt die Absicht des Künstlers, der Betrachter möge sich eine Waffe in der verdeckten Hand vorstellen, mit der er das Scheusal attackiert.  

  

 

 

 

Das Liebespaar am Aarstein

Das kniende, einander zugewandte Liebespaar, das so kunstvoll auf verschiede-nen gotländischen Bildsteinen wiedergegeben ist, finden wir in Großaufnahme im Relief  unter der berühmten Kreuzabnahme Jesu an den Externsteinen wieder. Fernab Gotlands wird hier im Osning das gleiche charakteristische Motiv dargeboten (Bild 24 mit eigenhändiger Nachzeichnung). Der Drache mit dem Dreizack-Schwanzende findet sich auf Gotland an der Außenmauer der Kirche von Endre (Bild 25). 

Wir erkennen beim Mann sowohl den langen Kinnbart als auch den herab-fallenden Zipfel des Haarschopfes, wie diese Details auch den männlichen Figuren auf den gotländischen Bildsteinen eigen sind (Bilder 9 und 16). Die Unterschenkel mit den Füßen der Männerfigur entsprechen ganz der Darbietung auf dem Bildstein Ardre VIII (hier Bild 18).

In gewissem Ausmaß lassen sich die beschädigten und fehlenden Körperteile des Drachenreliefs rekonstruieren. An Ort und Stelle (und nur dort! Nicht anhand von Fotos, auf denen die Steinadern und –farben die Linien und damit das wirkliche Aussehen kolossal verändern. Gleiches gilt für das Wächter-Relief)  kann man 

 

a)    die wie zum Schwur erhobenen Hände des Paares, 

b)   den sich unter dem Stumpf des linken Männerarmes (ehemals                                    vollplastisch)  hindurch windenden Schlangenkörper, 

c)   das gefältelte Kopftuch der Frau studieren. 

 

Die umfangreichen Beschädigungen über dem rechten Arm und an dem unteren Teil des Kleidungsstückes der Frau würden sich nur unwägbar nachzeichnen lassen. Auf eine diesbezügliche Nachbildung kann und muss verzichtet werden. Das Utensil, das die Frau offensichtlich im rechten Arm getragen hat, muss der Phantasie überlassen bleiben. Das kunstvoll in Falten gelegte Kopftuch reicht in einer sanften Spitze auf jeden Fall über die Beschädigungen auf ihrer Stirn hinweg.

Welche Begebenheit wollte der Künstler hier darstellen?

Wenn man zugibt, dass diese zugewandt voreinander knienden Menschen ein sich von Herzen liebendes, eng miteinander verbundenes Paar sind, das in gleicher Weise auf fernen gotländischen Bildsteinen erscheint, dann muss es eine gemein-same Wurzel geben; ein hier am sächsisch-engrischen Osning wie dort auf der Guten-Insel bekanntes Geschehnis, das von Generation zu Generation mündlich an die Nachfahren weiter gegeben wurde. Noch in den ersten Weltnachkriegs-jahren, als das Kommunizieren hauptsächlich  mündlich vonstatten ging, war das Miteinandersprechen sowie das Vorlesen und Vortragen von Märchen, Gedichten und Volksliedern alltäglich, wie der Autor selbst es als Kind genossen hat. 

Das Futhark, das geheimnisvolle Runenalphabet der hingeworfenen Buch(en)-stäbchen wurde in der germanischen Vorzeit nur für kultische Zwecke verwen-det sowie für  eingeritzte Inschriften auf Gedenk-/Bildsteinen, Waffen u.a., nicht aber für umfangreiche Schriftstücke. Die bildende Kunst hingegen, mit deren Hilfe man verflossene Ereignisse für die Nachwelt konservieren wollte, hatte in Nordeuropa längst Einzug gehalten. Das beweisen uns die bronzezeitlichen schwedischen Felszeichnungen wie auch die Bildsteingeneration des 7. bis 8. Jhd. mit den abenteuerlichen, spannenden Comics. Den Bildern entnehmen wir manche Ereignisse, die uns die in lateinischer Schrift fixierten Sagas und die Lieder-Edda mitteilen, die aber erst im 12. bis 13. Jhd. von gelehrten Isländern gesammelt und niedergeschrieben wurden. Leider aber ist vieles von dem, was uns die Zeichnungen und Bilder mitteilen wollen und was unsere Vettern von ehmals lesen konnten,  heute unverständlich. Das oral verbreitete Wissen von vor zweitausend Jahren ist zumeist unwiederbringlich verloren gegangen. 

Die Gotländer haben zuerst in Stein gehauen und bewahrt, was Jahrhunderte später Saemund und Snorri handschriftlich in Literatur formten. Wenn wir also nach dem realen Hintergrund für das Liebespaar am Aarstein fahnden, so muss die Mythologie zu Rate gezogen werden. Dafür stehen neben Edda und Sagen-Codex aus Island der Altnordische Sagenschatz nach Saxo Grammaticus, die Thidrekssaga, das Nibelungenlied und  die geringen Reste der deutschen Sagenwelt zur Verfügung.  Ein Liebespaar ist aufzuspüren, das einander so herzlich zugetan war, wie es künstlerisch im Stein geartet ist. 

 

Um es kurz zu machen: alle von mir beleuchteten Liebespaare boten in ihren übermittelten Lebensläufen nicht die innige Zuneigung, die die hier dargestellte Szene ausstrahlt, außer dem einen!  Unter den Göttersagen nicht Menglöd, die geduldig auf ihren Bräutigam Swipdagr wartet;  nicht Signy, die dem gefesselten Götter-Gatten Loki das tropfende Natterngift fernhält; aus der Heldensage nicht Kudrun, die ihrem unmächtigen Herwig unverbrüchliche Treue hält; auch nicht die Walküre Sigrun, die sich dem bluttriefenden Helden Helgi Hundingstöter in Liebe ergibt; keineswegs Krimhild, die blutrünstige Rächerin Siegfrieds. Das eine einzige Paar ist es, muss es sein: 

Ha, mit Grimm spornt Sigurd Grani, die Rüstung blinkt, die Regin schlug, das Feuer sinkt vor dem Fürstensohn. Dem Kampfesbaum (so die Bezeichnung der Edda für Held Sigurd) ward nach seinem Sieg über den Drachen Fafnir der Weg nach Hindarfjall zur Gold begehrenden Brünhild gewiesen, und so sprengt der Furchtlose mit seinem Ross Grani durch die Waberlohe, um der vom Schlafdorn Odins betörten Brünhild das Walkürenkleid zu nehmen. Und Sigurd bedankt sich artig bei der kraftvollen Schönen für den Minnetrunk. Er legt ihr das Schatzkäst-lein bzw. den Balg mit den Preziosen aus dem unermesslichen (Nibelungen-) Hort des Fafnir in die Arme. Brünhild ist beglückt und sagt Dank für die liebevolle Erweckung und die großzügige Beschenkung dem Bezwinger der Waberlohe, dem größten Helden der germanischen Mythologie.

Zitat: „Heil Asen, Heil Asinnen, Heil fruchtschwere Flur! Wort und Weisheit gewährt uns ruhmreichen zweien und Heilkraft den Händen stets.“

Darauf Sigurd: „Kein weiseres Weib ist zu finden als du, und das schwör ich, dass ich dich haben will, denn du bist nach meinen Sinnen.“

Brünhild stimmt begeistert bei: „Dich will ich und keinen andern, hätt ich auch zu wählen unter allen Männern.“

Nieder knien beide und leisten heilige Eide. 

Das betörende Lied von der Erweckung der Walküre  ist ein kurzes Lied, ein Zweizeiler des Inhalts:  Leibesbefreiung ~ Liebesschwur.  Doch was braucht es mehr? (Felix Genzmer bringt es als eigenständiges Lied, Karl Simrock hingegen belässt Brünhildens Runenunterricht an den wissbegierigen Erlöser im Lied von Sigdrifa). 

Jawohl, das muss das Bild sein, das dem Meister des Drachenreliefs am Extern-stein vorschwebte: Brünhild mit dem Goldschatz im Arm, ihr ins Auge blickend der hehre Held aus Wölsungengeschlecht, beide heben die Hände zum Schwur, der waidwunde Drache ist sterbender Zeuge. Kein anderes Paar ist in dieser minniglichen Weise besungen. Ihm gebührt die Ehre, am Aarsteine für alle Zeiten der staunenden Nachwelt ein Denkmal zu sein. 

Und dieses Sigdrifa-Lied germanischer Zeit ist unzweifelhaft die Bildvorlage für den gotländischen Steinkünstler (Bild 23). Auch ihm hat es die Liebe zwischen Brünhild und Sigurd angetan. Nur die Umstände ihrer innigen Begegnung und keine sonstigen Begebnisse der viel zu umfangreichen Niflungen/Nibelungen-Literatur findet auf diesem Bildstein Verwendung. Es genügt, ihrer Zuneigung und Liebe Ausdruck zu verleihen. Beeindruckend. 

Im Zusammenhang mit der etymologischen Behandlung von HELLWEG weist Jacob Grimm auf ein altnordisches Lied "helreid" (Saemund 227) hin (s. Abschn. Etymologie), das mir und auch dem Internet unbekannt ist. Danach fährt Brünhild, Walküre und spätere Ehefrau des Nibelungen-Königs Gunther, nach ihrem Tod durch Verbrennen auf einem geschmückten Wagen zur Hel "ok med reidinni á helveg". Helwege bzw. Hellwege finden sich in der Hauptsache um Paderborn und den Teutoburger Wald. Der bedeutendste, der Westfälische Hellweg, verbindet Paderborn - Soest - Dortmund - Duisburg mit dem Rhein. Der Helweg wird von Grimm und von Wolfgang Golther als "Totenweg" gedeutet. Das Lied "Brünhildens Helfahrt" (Helreid Brynhildar) ist in Genzmers EDDA unter Nummer 47 verzeichnet. Legt man die Aussagen zu Grunde, dann hat die vielbesungene Brünhild im Drachenrelief am Externstein ihren angestammten Gedenkplatz mit vollem Recht erhalten. 

 

Und dieses noch:  Dies Denkmal an diesem altehrwürdigen Heiligtum könnte dem historischen Arminius, der dem römischen Drachen den Garaus gemacht hat, zugedacht gewesen sein.  Darüber soll auch mein Buch "Der Götterwald" künden. Vielleicht wird auch später einmal ein "sagenhafter Beitrag" auf dieser Homepage erscheinen. 

 

 

 

Bild 25 

Erst beim genauen Hinschauen offenbart sich der Dreizack am Schwanzende des Drachens. Das Fabeltier ist in die Kirchen-mauer von Endre/Gotland  links unter dem Dach eingefügt (s. Bild 24 zum Vergleich). 

 

 

Druckversion | Sitemap
© Der Götterwald Autor Siegfried Schröder Alle Rechte beim Autor